"None of them knew the colour of the sky"

 

Anmerkungen zum Werk von Wil Wiegant

 

Von Hubert Beck

"None of them knew the colour of the sky. Their eyes glanced level, and were fastened upon the waves that swept towards them. These waves were of the hue of slate, save for the tops, which were of foaming white, and all of the men knew the colours of the sea."

So lauten die ersten drei Sätze der Erzählung The Open Boat (1898) von Stephen Crane mit dem Untertitel: A Tale Intended to be after the Fact: Being the Experience of Four Men from the Sunk Steamer Commodore.

Seit einem viertel Jahrhundert ist der holländische Künstler Wil Wiegant auf seiner Reise auf der Suche nach dem Bild. Dieser Band entspringt seiner Intention, anhand ausgewählter Beispiele seinen Weg oder seine Entwicklung zu dokumentieren und darüber zu einer Art Zwischenbilanz für sich selbst zu kommen. Wil Wiegant gehört zu den Künstlern, die um die spezifische Einsamkeit eines künstlerischen Unterwegsseins zu wissen scheinen. Er gehört keiner Schule an, folgt keinen schnellen Modewechseln, sondern erlaubt sich einen heute luxuriös anmutenden Umgang mit der Ressource Zeit und mit der einer wohlverstandenen Eigensinnigkeit. Wie für viele seiner Generation, Wiegant ist Jahrgang 1951, sind für ihn die internationalen künstlerischen Entwicklungen zwischen den fünfziger und den siebziger Jahren prägend. So erkennt man an den frühen Bildern die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen abstrakten Expressionismus, für den beispielhaft der Name Pollock steht, sowie an der seriellen Reihung von Gegenständen, ihrer Zeichen-haftigkeit und der grafischen Flächigkeit des Bildes zusammen mit einer intensiven Beschäftigung mit den Grundfarben Rot, Gelb und Blau Grundelemente der Pop Art. Auffallend ist allerdings, dass nicht der eine gegen die andere ausgespielt ist, und von der Pop Art deren "realistische" Übernahme von Produkten und Namen der zeitgenössischen Warenwelt bei ihm nicht zu finden ist. Wie man aber am exemplarischen Vertreter Andy Warhol sehen kann, ist – so auch bei Wil Wiegant – das Bunte, Dekorative und seriell Ornamentale durchaus doppelbödig. Die Oberfläche ist ein entscheidender Faktor. Sie ist das eigentlich Sprechende. Für Warhol ist hinter der Oberfläche nichts.

Das zentrale Motiv bei Wiegant ist das Boot. In der Reihung und der Figur-Grund-Variation der Schiffsbilder mit ihrem Raster kommt auf der einen Seite das Zeichen als solches und nicht als Symbol daher. Schon John Cage, der amerikanische Künstler/Komponist, der großen Einfluß auf die Kunst der sechziger Jahre und darüber hinaus hatte und hat, den Wiegant sehr schätzt – wie sich nicht zuletzt an der hier abgebildeten, Cage gewidmeten Arbeit zeigt - , hatte postuliert: Objekt ist Tatsache, nicht Symbol. So bleiben auch in anderen Arbeiten Wiegants die Grundflächen ganz ohne gegenständliches Motiv.

Auf der anderen Seite ist diesen Bildern ein romantischer Subtext eigen, sind doch die Motive sehr besetzte, sprechende Zeichen. Man erkennt den gelben Sturm, erinnert sich an das Drama eines Schiffes mit Namen Medusa und das Gemälde Das Floß der Medusa (1819) von Théodore Géricault (auch "intended to be after the fact").

"The little boat, lifted by each towering sea and splashed viciously by the crests, made progress that in the absence of seaweed was not apparent to those in her. She seemed just a wee thing wallowing miraculously top up, at the mercy of five oceans. Occasionally a great spread of water, like white flames, swarmed into her."

Doch nicht um das Pathos von Géricaults Menschenpyramide – interessanterweise in einer Dreiecksform, auf die die Segel bei Wiegant vielleicht noch ein leichtes Echo bilden - , ja gar nicht um das Menschenbild geht es Wiegant, seine Bilder sind eben nicht "intended to be after the fact".

Aber wie es bei dem französischen Maler der Romantik über das Faktische hinaus sinnbildlich um die menschliche Hoffnung überhaupt geht sowie um allegorisch implizierte politische und gesell-schaftliche Zusammenhänge, ist dennoch, wie später auch bei Crane, das Leiden gewöhnlicher Menschen vorgestellt, was für das frühe 19. Jahrhundert im hochkulturellen Diskurs der Malerei neu ist. Doch selbst bei dem Naturalisten Crane hat der Schiffbruch immer auch eine meta-phorische Bedeutung über den Einzelfall hinaus, kann etwa seine Erzählung The Open Boat als existenzielle Parabel gelesen werden. Cranes Charaktere schaffen ihre Welt nicht, sondern etwas geschieht mit ihnen, die Umstände scheinen ohne Sinn, haben aber immer das letzte Wort. Darin liegt seine klassische Modernität.

Von all dem scheinen Wiegants Bilder auf den ersten Blick meilenweit entfernt. Aber trotz (oder gerade wegen) der Reduktion auf abstrahierte Formen und Zeichen und vor allem auf durch-gehende Motive – immer wieder Mond und Sonne (siehe: Barcos, Luna y Sol) - trotz einer Ästhetik, die an das Licht, das Wasser und die Luft im französischen Impressionismus denken läßt, werden ganz deutlich Gehalte traditioneller, vormoderner, aber immer noch virulenter Symbole ins Spiel gebracht:

Schiffe oder Boote tragen die Sonne und den Mond über die Meere; und die Erde ist ein Boot, das auf den Urwassern treibt. Als Träger von Sonne und Mond stellen Schiffe Schöpferkraft und Fruchtbarkeit der Wasser dar; selbstverständlich stehen sie auch für Abenteuerlust und Erkundungsdrang. Sie versinnbildlichen die Fahrt über das Meer des Lebens, aber auch das Überqueren der Wasser des Todes. Das Schiff des Lebens, das auf die Wasser der Schöpfung hinausfährt, hat auch Anteil an der Axialsymbolik, insofern, als der Mast die "axis mundi" ist und auch die Bedeutung des Lebensbaums hat. Nach der christlichen Überlieferung ist die Kirche die Arche, das Schiff der Erlösung; Sicherheit vor der Versuchung.

"It would be difficult to describe the subtle brotherhood of men that was here established on the seas."

Das Kreuz ist der Mast des Schiffes. Die Ruderer sind die Apostel.

"The correspondent wondered ingenuously how in the name of all that was sane could there be people who thought it amusing to row a boat."

Im Buddhismus ermöglicht das "Boot der Lehre" den Menschen, den Ozean der Existenzen und Gestaltwandlungen zu überqueren, um das Ufer – das Nirwana – zu erreichen.

Eine Art Sollbruchstelle in Wiegants Werk im Gegensatz zum vermeintlich spielerisch Dekorativen mancher Bootbilder, also quasi die Schiffbrucherfahrung, stellen die Schwarzweiss-Fotografien dar. Birma Road ist zum Teil gelb gehöht und mit Tape, das aussieht wie Mullbinden, ist ein Ausschnitt im Bild rätselhaft focussiert. Das Gelb signalisiert hier Gefahr. Die Atmosphäre, die von dieser Arbeit ausgeht, ist eine der Bedrohung. Hier wird das Leiden der Kriegsgefangenen unter der japanischen Besatzung Birmas im zweiten Weltkrieg angedeutet. Der Bildtitel und die Bahnlinie verweisen wie der Name Auschwitz auf die Katastrophe und die Gräuel des Krieges insgesamt.

Wiegant ist in Indonesien geboren, zusammen mit seinem Alter läßt dies auf Auswirkungen (welcher Art auch immer) des holländischen Kolonialismus auf seine Biographie schließen. Auf jeden Fall stellen diese fotografischen Arbeiten einen wichtigen Kontrapunkt im Werk des Künstlers dar.

"This tower was a giant, standing with its back to the plight of the ants. It represented in a degree, to the correspondent, the serenity of nature amid the struggles of the individual-nature in the wind, and nature in the vision of men. She did not seem cruel to him then, nor beneficent, nor treacherous, nor wise. But she was indifferent, flatly indifferent."

Vielleicht hat Mondriaan deshalb die Natur so gehaßt. Er fuhr, nebenbei bemerkt, noch mit dem Dampfer nach New York. Dass Wil Wiegant bei seiner Herkunft und bei seiner ästhetischen Ausrichtung etwas mit Mondriaan zu tun hat (abgesehen von dessen Hass auf die Natur), liegt auf der Hand. Da sind die Zurückgezogenheit des Künstlers, das Raster, die Variationen bestimmter Motive, die Bedeutung der Grundfarben. Der Name Mondriaan steht unter anderen auch für die utopische Hoffnung (auf gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt durch Kunst) und den religiösen Kern der Avantgarden des 20. Jahrhunderts, an die die (letzten) Avantgardebewegungen der sechziger und siebziger Jahre ja anknüpfen. Für die Generation, der Wiegant angehört, ist heute ein solch utopischer Horizont aber weitgehend verschlossen, und sie glaubt weder an das irdische noch an das jenseitige Paradies, wiewohl die Sehnsucht danach keinesfalls verschwunden ist.

So ist das Boot bei Wiegant auch ein Zeichen für das Künstlertum selbst, für das Prozesshafte des künstlerischen Denkens und für die Subjektivität, die Vergewisserung aus sich selbst schöpfen muß.

"When (nachdem drei der vier Männer lebend das rettende Ufer erreicht haben) it came night, the white waves paced to and fro in the moonlight, and the wind brought the sound of the great seas voice to them on the shore, and they felt that they could then be interpreters."